Wer braucht denn so was?

 

Die Erstausgabe des Couragiert-Magazins

Jedes Mal der gleiche Ärger: Sie schreiben eine Pressemitteilung, halten sich dabei an alle förmlichen und inhaltlichen Regeln, die Sie gelernt oder in der Fachliteratur gelesen haben, senden sie an einen sorgfältig ausgewählten Medienverteiler in Ihrer Region und dann – nichts. Ihre Mitteilung wird von keinem Medium gedruckt oder wiedergegeben. Im günstigsten Fall werden Sie mit Ihrem Thema irgendwo am Rand erwähnt, im ungünstigsten und leider häufigeren landet der Text im Redaktionspapierkorb.

Freilich gibt es auch diesen oder jenen Lichtblick. Ab und zu findet sich jemand, der Ihre Pressemitteilung nahezu im Wortlaut druckt und vielleicht sogar noch mit mindestens einem der von Ihnen gelieferten Fotos illustriert. Dann sind Sie als Öffentlichkeitsarbeiter stolz, schneiden Zeitungsartikel aus oder fertigen Screenshots an und setzen auf Ihrer Website Links im Bereich „Presse“.

Doch es gibt überhaupt keinen Grund zur Freude, denn beide Situationen haben eines gemeinsam: Ihre Botschaft wird kaum jemanden erreichen. Das mag im ersten Fall noch einleuchten; im zweiten fragen Sie sicherlich: „Was kann besser für uns sein, als vollständig wiedergegeben zu werden?“

Diese aus der Sicht des Öffentlichkeitsarbeiters durchaus nachvollziehbare Haltung basiert auf einem leider weitverbreiteten Irrtum, nämlich der Annahme, dass das, was wir für wichtig halten, auch von den Lesern für wichtig gehalten wird, wenn wir es nur wichtig genug präsentieren. Und wichtig heißt in diesem Fall vor allem groß. Natürlich wird niemand bestreiten, dass große und aufwendig gestaltete Artikel eher wahrgenommen werden. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass die Leser sie auch wirklich lesen. Und wenn sie sie lesen, dann vielleicht nicht vom Anfang bis zum Ende. Genau das aber sollte das Ziel jeder Redaktion sein: möglichst viele Leser möglichst lange in ihren Texten zu halten. Redaktionen, die Pressemitteilungen nahezu wörtlich veröffentlichen, verfolgen dieses Ziel ganz sicher nicht. Genau deshalb sollten Sie als Öffentlichkeitsarbeiter keineswegs zufrieden sein, wenn Ihre Mitteilung so veröffentlicht wird, wie Sie sie verschickt haben.

Zu Recht fragen Sie jetzt: „Soll ich also zufrieden sein, wenn meine Pressemitteilung nur beiläufig erwähnt oder gar ignoriert wird?“ Mitnichten, aber die Redaktion, die so mit Ihren Mitteilungen umgeht, ist wahrscheinlich eine, die sich dem Anspruch verpflichtet fühlt, dass ihre Artikel die Leser interessieren und dass sie von ihnen gelesen werden. Diese Redaktionen und die Medien, die sie produzieren, sollten für Sie die interessanteren sein. Nun kommt es nur noch darauf an, sie davon zu überzeugen, dass gerade Ihr Thema es wert ist, beachtet zu werden.

Die Journalismustheorie verwendet den Begriff „Nachrichtenwert“, um zu beschreiben, welche Faktoren entscheiden, ob es ein Thema in die Medien schafft. Er liefert auch die Erklärung dafür, dass bestimmte Themen in vielen Medien gleichzeitig präsent sind, während andere eher klein gehalten werden. Diese Faktoren – es sind sieben mit jeweils mehreren Unterfaktoren – lassen sich in der Forschung immer wieder sehr gut nachvollziehen. In der täglichen Arbeit helfen sie den Journalisten nur bedingt – vor allem, wenn diese im Lokalen tätig sind. In meinen Seminaren und Workshops mit Blattmachern und Redakteuren von Regionalzeitungen teile ich Themen deshalb in drei Gruppen ein, die zwar keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhalten würden, wohl aber geeignet sind abzuschätzen, ob und warum Leser einen Artikel lesen werden. Diese Gruppen habe ich gemeinsam mit der Redaktion einer Zeitung entwickelt, bei der ich auch ein Langzeitprojekt begleite, bei dem mit Scanstiften ausgerüstete Leser markieren, wie viele Zeilen eines Artikels sie gelesen haben. Mehr als tausend Probanden nahmen bisher daran teil; demnächst werden wir die Messung auf zwei weitere Zeitungen ausdehnen.

Die völlig unwissenschaftlichen Gruppen heißen Muss-Themen, Kann-Themen und Soll-Themen. Ihre Namen sind von dem Verhältnis abgeleitet, dass Leser mutmaßlich zu einem Thema entwickeln, und von dem Einfluss, den das Thema auf ihr Leben hat. Ich erkläre sie gern so:

Muss-Themen

Das muss ich gelesen haben, denn ich brauche diese Informationen. Klassische Muss-Themen sind Sicherheit, Geld, Arbeit, Bildung, Gesundheit, Ernährung, Verkehr, Wetter usw. usf. – also Themen, die mich unmittelbar berühren können. In der Praxis, also unseren Messungen, erreichen solche Themen fast immer hohe Lesewerte.

Kann-Themen

Das kann ich lesen. Wenn ich es nicht lese, verpasse ich vielleicht etwas Interessantes und Unterhaltsames, aber nichts Wichtiges. Viele Themen aus den Bereichen Vermischtes (Personality, Sex and Crime etc.), aus Wissenschaft, Kultur und Sport gehören in diese Gruppe. Obwohl sie für die breite Leserschaft nicht wichtig sind, können sie durchaus hohe Lesewerte erreichen. Oft stoßen sie aber nur bei einem sehr überschaubaren Teil der Leser auf Interesse.

Soll-Themen

Das sollte ich als halbwegs informierter und gebildeter Mensch wissen und lesen. Wenn ich es aber nicht weiß und lese, wird mir nichts fehlen oder gar passieren. Vor allem Themen aus dem (kommunal)politischen und (sozio)kulturellen Bereich ordnen wir dieser Gruppe zu. Die Lesewerte für sie sind meist gering.

Gerade hier liegt das größte Problem sowohl für die Zeitungen als auch für Sie, die sich vor allem in den gerade genannten Bereichen engagieren. Die Redaktionen einerseits beziehen einen großen Teil ihrer Reputation bei Meinungsbildnern eben aus solchen Soll-Themen. Gleichzeitig wissen sie, dass die Artikel kaum gelesen werden. Sie als Öffentlichkeitsarbeiter wollen und müssen andererseits genau diese Soll-Themen transportieren. Gleichzeitig haben Sie es schwer, sie in Medien unterzubringen, deren Redaktionen um den geringen Lesewert wissen. Und wenn sich doch eine Redaktion findet, die Ihre Mitteilung veröffentlicht, haben Sie damit nichts weiter erreicht.

Damit sind wir wieder bei dem eingangs beschriebenen Dilemma angelangt, das aber in Wirklichkeit gar keines sein muss, denn es gibt einen Ausweg daraus: Das erste, was sie dafür tun müssen, ist, sich selbst die Frage zu stellen, ob Ihre Pressemitteilung nach den hier beschriebenen Kriterien ein Muss-, Kann- oder Soll-Thema behandelt. Ist letzteres der Fall, sollten Sie überlegen, wie sich das Soll-Thema in Richtung Muss oder Kann entwickeln und sich damit der zu erwartende Lesewert steigern lässt. Am häufigsten gelingt das mit der Verlagerung von Soll nach Kann, also indem Sie Ihr Thema mit einem gewissen Unterhaltungswert würzen und die Redaktionen davon überzeugen, dass es diesen Unterhaltungswert hat.

Das mag Ihnen auf den ersten Blick nicht seriös vorkommen, aber es ist ein probates Mittel, möglichst viele Menschen zu erreichen.

Erstveröffentlichung  im "Couragiert Magazin", Oktober 2013

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